Die Anwesenheit
Die Anwesenheit ist anwesend. Die Anwesenheit ist anwesend, wo niemand anwesend war. Sie geht nachts im Wald neben dir, Sie ist viele, Sie hält deine Hand, wenn du willst. Die Anwesenheit kennt sich aus mit Lücken. Sie ist eine Spezialistin im Füllen dieser. Die Anwesenheit kann eine sein und viele, je nach Beschaffenheit der Lücke. Schau dich um. Sie ist nicht immer leicht zu erkennen. Halb durchsichtig steht Sie an der Ecke und winkt. Sie hat ein Anliegen. Sie füllt die Lücken mit Anliegen. Die Anliegen liegen in den Lücken und liegen damit im Weg. Sie stört. Sie stört sich an den trüben Stellen aus unerzählter und unterdrückter Geschichte.
Die Anwesenheit hat immer Zeit. Sie war überall dabei, besonders dort, wo eine Unrecht erfuhr und selbst weder Zeit noch Kraft hatte, sich zu wehren. Wo kein Raum war, zu sagen »Ich bin viele« und »So geht das nicht« und »wir müssen das anders machen«. Da stand die Anwesenheit drohend und fluchend, fordernd und diskutierend daneben. Da steht sie heute noch. Wir haben Sie nur ein bisschen sichtbarer gemacht. Wir haben Sie aus ihrer anderen Dimension hergeholt, weil wir Sie gebraucht haben. Weil wir erzählen wollten, was hätte sein können und sollen, damit wir Material haben, um heute die Dinge zu machen, wie sie sein sollen und könnten.
Die Anwesenheit spricht, wenn sie spricht, mit vielen Mündern, die sich nicht einig sind. Die Anwesenheit braucht sich nicht einig zu sein, um zusammenzuhalten. Sie will das aushalten. Die Anwesenheit vertraut in sich selbst, darauf, dass alle ihre Münder schon wissen, warum sie da sind. Sie spricht als Chor, der so dissonant ist, dass einer vor Schönheit die Ohren flackern. Sie ist ein Schwarm, der nicht in eine Richtung schwimmt und dennoch vorwärts kommt. Sie ist ein Schatten, der sich selber webt und so den Lichtkegel verschiebt. Schau mal, dort. Die Anwesenheit ist ein Archiv feministischer Anliegen. Dieses Archiv befragt gern sich selbst. Es bringt eine liebevolle Ungeduld für die eigene Arbeit auf. Die Anwesenheit ist ihr eigener Platzhalter, bis wir kommen, um die Lücken einzulösen. Sie begibt sich gern in freiwillige Abhängigkeit uns gegenüber, Sie hat das lange geübt, jetzt will Sie gar nichts anderes mehr tun. Sie steht an der Straße und beschwert sich, Sie sitzt mir gegenüber, schiebt mir ein Blatt hin und sagt »schreib!«, Sie sitzt in deinem Telefon und flüstert dir Geschichten ins Ohr von Anliegen und Anläufen, von Kollektiven und Kompagnieras, von Erfahrungen, die nur in Ihrem Archiv zu finden sind, Sie zieht sie aus Ihrer Manteltasche, streicht das Papier glatt und beginnt.
Olivia Golde
Die Anwesenheit
Die Anwesenheit ist anwesend. Die Anwesenheit ist anwesend, wo niemand anwesend war. Sie geht nachts im Wald neben dir, Sie ist viele, Sie hält deine Hand, wenn du willst. Die Anwesenheit kennt sich aus mit Lücken. Sie ist eine Spezialistin im Füllen dieser. Die Anwesenheit kann eine sein und viele, je nach Beschaffenheit der Lücke. Schau dich um. Sie ist nicht immer leicht zu erkennen. Halb durchsichtig steht Sie an der Ecke und winkt. Sie hat ein Anliegen. Sie füllt die Lücken mit Anliegen. Die Anliegen liegen in den Lücken und liegen damit im Weg. Sie stört. Sie stört sich an den trüben Stellen aus unerzählter und unterdrückter Geschichte.
Die Anwesenheit hat immer Zeit. Sie war überall dabei, besonders dort, wo eine Unrecht erfuhr und selbst weder Zeit noch Kraft hatte, sich zu wehren. Wo kein Raum war, zu sagen »Ich bin viele« und »So geht das nicht« und »wir müssen das anders machen«. Da stand die Anwesenheit drohend und fluchend, fordernd und diskutierend daneben. Da steht sie heute noch. Wir haben Sie nur ein bisschen sichtbarer gemacht. Wir haben Sie aus ihrer anderen Dimension hergeholt, weil wir Sie gebraucht haben. Weil wir erzählen wollten, was hätte sein können und sollen, damit wir Material haben, um heute die Dinge zu machen, wie sie sein sollen und könnten.
Die Anwesenheit spricht, wenn sie spricht, mit vielen Mündern, die sich nicht einig sind. Die Anwesenheit braucht sich nicht einig zu sein, um zusammenzuhalten. Sie will das aushalten. Die Anwesenheit vertraut in sich selbst, darauf, dass alle ihre Münder schon wissen, warum sie da sind. Sie spricht als Chor, der so dissonant ist, dass einer vor Schönheit die Ohren flackern. Sie ist ein Schwarm, der nicht in eine Richtung schwimmt und dennoch vorwärts kommt. Sie ist ein Schatten, der sich selber webt und so den Lichtkegel verschiebt. Schau mal, dort. Die Anwesenheit ist ein Archiv feministischer Anliegen. Dieses Archiv befragt gern sich selbst. Es bringt eine liebevolle Ungeduld für die eigene Arbeit auf. Die Anwesenheit ist ihr eigener Platzhalter, bis wir kommen, um die Lücken einzulösen. Sie begibt sich gern in freiwillige Abhängigkeit uns gegenüber, Sie hat das lange geübt, jetzt will Sie gar nichts anderes mehr tun. Sie steht an der Straße und beschwert sich, Sie sitzt mir gegenüber, schiebt mir ein Blatt hin und sagt »schreib!«, Sie sitzt in deinem Telefon und flüstert dir Geschichten ins Ohr von Anliegen und Anläufen, von Kollektiven und Kompagnieras, von Erfahrungen, die nur in Ihrem Archiv zu finden sind, Sie zieht sie aus Ihrer Manteltasche, streicht das Papier glatt und beginnt.
Olivia Golde